Online-Magazin “existenzielle” , 29.10.2010

„Sie können nicht drei Stunden über Fahrräder reden“

Ein Gespräch mit Annette Kessler, Small Talk-Expertin, über kulturelle Bildung, Kulturbanausen, Klugscheißer und intelligente Gespräche über Erotik

Frau Kessler, Small Talk ist die Basis für beruflichen Erfolg, schreiben Sie. Wann haben Sie das zum ersten Mal bewusst persönlich realisiert?

Als ich mich selbstständig gemacht habe. Vor ca. 10 Jahren. Ich überlegte, wie ich mein Studium der Musik- und Theaterwissenschaften mit der Erwachsenenbildung und der Wirtschaft verbinden kann. Meine Frage war: Wie komme ich in den Seminarmarkt rein? Sich auf Messen zu präsentieren oder beim Kunden, beginnt immer damit, im Gespräch zunächst eine gute Atmosphäre zu schaffen.

Führt eine professionelle Small Talkerin andere Akquise-Gespräche?

Ich glaube ja. Das ist auch in jeder Bewerbung so, das vermittle ich in meinen Seminaren für Studenten beimCareer Service. Wenn das Gespräch professionell abläuft und man sich dessen bewusst ist, wie man den Small Talk lenken kann, dann ist man klar im Vorteil.

Wie wirkt sich dieser aus?

Sie treten nicht mehr so schnell in mögliche Fettnäpfchen. Sie verhindern eine negative Stimmung. Sie sind in der Lage, sehr bewusst eine positive Stimmung zu erzeugen und sich selbst in das richtige Licht zu rücken.

Nun beginnt ja jede Begegnung, ob im Bewerbungs- oder Akquisegespräch eher harmlos. Oft mit der Frage: Haben Sie gut hergefunden?

Ja, und das ist auch ein sehr guter Einstieg. Denn um auf diese Frage zu antworten, haben Sie vielfältige Möglichkeiten. Nicht so gut wäre: „Mmmh, ja, kein Problem …“

Stellen Sie sich vor, Sie wären heute zu mir gekommen und ich hätte Sie gefragt: Frau Kessler, haben Sie gut hergefunden? Wie würden Sie reagieren?

Wo sitzen Sie?

In Münster.

Oh, dann würde ich vielleicht Bezug nehmen auf die vielen Fahrräder …(lacht)

… und sich freuen, dass Sie überhaupt heil angekommen sind!

Zum Beispiel. Es geht darum, weg von den Floskeln zu kommen und wirklich persönlich zu werden. Ich könnte Ihnen sagen: „Ich wäre ja auch gern mit dem Rad gekommen, aber …“ Wenn Sie etwas von sich abgeben, persönlich werden, gibt das Pluspunkte. Das verlangt aber, dass ich mich vorbereite, dass ich weiß, wo ich hingehe und einfach mit offenen Augen unterwegs bin. Es gibt so viele Anknüpfungspunkte für gute Gesprächseinstiege und Gespräche.

In Ihrem Buch nutzen Sie Stichworte aus dem Alltag als Anknüpfungspunkte für Geschichten aus Kultur, Literatur und Musik.

Ja, darum geht es in diesem Buch. Mein erstes Buch (Small Talk von A-Z) beschrieb eher die Basics, dieses Buch soll dabei helfen, das Repertoire der Gesprächsthemen zu erweitern. Wenn Sie mit einem Kunden bei einem abendfüllenden Dinner ein Gespräch führen, dann können Sie nicht drei Stunden über Fahrräder reden. Im beruflichen und geschäftlichen Leben bewegen Sie sich häufig in kulturaffinen Bereichen und dafür gibt Ihnen das Buch ein bisschen Unterstützung und Stoff. Ich hätte es auch „Kleine Geschichte der kulturellen Allgemeinbildung“ nennen können. Der Hintergrund ist, dass kulturelle Bildung eine Schlüsselqualifikation ist, auf die Sie nicht verzichten können.

Kulturbanausen sind also beim Small Talk klar im Nachteil.

Im kleinen Gespräch fällt das vielleicht nicht so auf, aber die Notwendigkeit kultureller Grundlagen ist einfach gegeben, um Zeitung lesen zu können, um Gespräche zu führen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Da kommt es nicht gut, wenn Sie Botho Strauß und Johann Strauß verwechseln oder Verdi nur für eine Gewerkschaft halten.

Ein Nachhilfebuch für Kulturbanausen könnte es also auch sein.

Im Prinzip ja, es will vor allem die Schwelle zur kulturellen Bildung senken und Lust machen, sich mit den Themen oder Künstlern eingehender zu beschäftigen.

Was es nicht bewirken soll: Man soll nicht anfangen zu klugscheißern. Dann ist man schnell entlarvt. Sie können sich bei bestimmten Themen ruhig als Laie outen. Wenn man mal was gehört oder gelesen hat und damit umgehen kann, dann ist man zumindest in der Lage, intelligente Fragen zu stellen.

 Bei den Texten in Ihrem Buch war ich zuweilen überrascht: Da gibt es Stichworte wie Anmache, Eifersucht oder Seitensprung, ich erfahre, dass Philipp IV 32 uneheliche Kinder hatte und mehr Mätressen als Ludwig XIV. In welchem Gesprächskontext kann ich denn sowas unterbringen?

Oh, ganz wunderbar in den feinsten Kreisen! Klatsch und Tratsch ist nicht erlaubt, aber über kulturelle geschichtliche Figuren zu sprechen, das wirkt absolut souverän.

Sex, Erotik, das sind keine No go-Themen?

Sobald das Thema einen künstlerischen oder historischen Kontext hat, ist es gesellschaftlich absolut anerkannt. Stellen Sie sich die Kokotten von Kirchner vor oder die Skulptur am Konstanzer Hafen, das ist eine Nutte. Was anderes ist es, wenn Sie über Aktuelles im erotischen Zusammenhang reden, dann wird es schnell billig.

Small talken Männer anders als Frauen?

Nein, das würde ich nicht sagen. Es kommt immer auf den Typ an. Beim Thema Kultur ist es komplett gleich. Es gibt geschwätzige Männer und stumme Frauen, das ist keine Geschlechterfrage.

 Small Talk soll eine gute Atmosphäre schaffen, Gemeinsamkeiten sind wichtig. Themen, bei denen es Meinungsverschiedenheiten geben könnte, sind also tabu?

Ja, im weitesten Sinn. Man muss sich immer das Ziel des Gesprächs klarmachen. Sie verbingen Zeit miteinander, in der Sie eine Atmosphäre schaffen, vielleicht für ein folgendes Geschäftsgespräch, das dann durchaus kontrovers sein kann. Aber im Small Talk sollten Sie nicht polarisieren – ohne allerdings ein langweiliger Ja-Sager zu sein.

Sie arbeiten viel für Unternehmen in der Finanzbranche. Welche Small Talk-Strategien gab es in in der Zeit der Krise?

(lacht) Gar keine. In der Zeit der Krise haben die Banken gar keine Seminare gebucht. Die waren mit anderen Dingen beschäftigt und haben hier kein Geld ausgegeben. So hatte ich Zeit, das Buch zu schreiben.

Was müsste ein Banker denn vor dem Hintergrund der Krise im Small Talk verändern?

Wenn ein angekratztes Image da ist, dann ist es wichtig, integer zu wirken, dann geht es noch stärker darum, eine persönliche Beziehung herzustellen, glaubhaft zu machen, dass Person und System nicht identisch sind und dass nicht jeder Banker ein Finanzhai ist. Da hat der Small Talk eine ganz wichtige Funktion für eine gute Atmosphäre. Small Talk ist reine Beziehungsarbeit.

Vom Small Talk zur Konversation

Culture Talk - Dr. Annette Kessler

Seminare für mehr Sicherheit auf dem gesellschaftlichen Parkett