Vom Small Talk zur Konversation

Die Welt, 15. September  2006
Magazin

Mehr Oberflächlichkeit
Harmlose Plauderei gewinnt an Bedeutung als Karrierefaktor. Selbst Roboter beherrschen inzwischen Smalltalk. Jungmanager müssen es noch lernen. Besuch in einem Seminar.

Von Joachim Bessing

Actroid, ein Roboter des japanischen Herstellers Kokoro ist für den Dienst an den Empfangstheken von Banken, Museen oder Hotels konstruiert. Die lebensgroße Maschine sieht aus wie eine asiatische Großstädterin, unter ihrer künstlichen Gesichtshaut besorgen Servomotoren die Mimik. Die Augen der Androidin fangen den Blick ihres Gegenübers auf. Und wie es zunächst scheint, kann sie ihn sogar verstehen. Trotzdem kommt bei einer Unterhaltung mit Miss Actroid keine rechte Stimmung auf. Zwar ist ihr Prozessor auf etwa 500 Sätze und die passenden Antworten programmiert – das Gespräch mit der kalten Lady bleibt trotz aller High Tech öde. Ein Smalltalk mit dem derzeitigen Spitzenprodukt der Androidenforschung ähnelt dem Dialog mit einem Navigationssystem.

Aber es ist gerade die Fähigkeit zum Smalltalk, die unter Menschen für angenehme Atmosphäre sorgt – und zunehmend als Karrierefaktor an Bedeutung gewinnt. Aus einer 2003 von IBM in Auftrag gegebenen Studie geht hervor, dass die Qualität der Arbeit lediglich einen Anteil von zehn Prozent an der positiven Beurteilung eines Mitarbeiters bestimmt. Wohingegen sein Image (30 Prozent) und der Bekanntheitsgrad im Unternehmen (60 Prozent) ungleich stärker ins Gewicht fallen. Das Fachwissen ist austauschbar. Durch seine Persönlichkeit macht sich der Mitarbeiter für sein Unternehmen unentbehrlich. Ein Android wie Actroid funktioniert zwar und liefert die gewünschten Informationen. Beliebt machen kann er sich aber nicht.

Annette Kessler wird häufig in die deutschen Unternehmen der Sparten Pharma, Auto oder Finanzen eingeladen, um deren Leistungsträgern die Kunst und Techniken des Smalltalks beizubringen. Die promovierte Musikwissenschaftlerin hatte festgestellt, „dass es in arrivierten, gebildeten Kreisen oftmals schwierig ist, sich über einfache Dinge zu unterhalten. Bildung ist manchmal sogar im Weg. Herzlichkeit, Empathie und emotionale Intelligenz entscheiden über die Fähigkeit zum Smalltalk. Und Smalltalk ist der Beginn jeden Kontaktes. Es ist sehr wichtig, smalltalken zu können.“

Offenbar glaubt man das auch bei der Deutschen Bank. An einem Augustvormittag sitzen elf junge Bankkaufleute in einem Seminarraum des hauseigenen Schulungszentrums in Kronberg. Die Stimmung ist den Räumlichkeiten entsprechend locker, die jungen Herren sind in Anzügen erschienen, die Damen tragen sportliche Business-Couture. Das Förderungsprogramm „Perspektive XXL“ eröffnet ihnen eine vielversprechende Laufbahn im Unternehmen. Die Ausbildung im Smalltalk ist Teil des abschließenden Seminars rund um Außenwirkung, Manieren und Kundenkontakt.

Frau Dr. Kessler projiziert ein Zitat von Oscar Wilde an die Wand: „Natürlich zu sein ist die schwierigste Pose, die man einnehmen kann“

Gewiss. Und Smalltalk fordert ja genau das: Natürlich zu sein, obschon es doch nur Pose bleibt. Eine kleine Plauderei, die so wirken soll, als redeten da zwei ganz ungezwungen. Frau Kessler benennt den Sinn eines Smalltalks mit „Sozialem Lausen“ - und meint damit, dass man dadurch auf verlässliche Art Sympathie und Vertrauen schafft, und so: „eine Basis für die anschließende Geschäftsbeziehung“.

Aber wie immer hatte Oscar Wilde recht: Das Natürlichsein fällt schwer. Ein Teilnehmer: „Es gibt Menschen, und da möchte ich mich auch dazuzählen, die kommen gern gleich zur Sache.“

Versteht sie zwar, kann Frau Kessler aber nicht gelten lassen: „Smalltalk ist keine intellektuelle Kapitulation.“ Und fällt auf ungewohnte Weise mit der Tür ins Haus: „Sie sollten sich zum Smalltalk-Profi entwickeln – So kommen Sie nach oben.“ Die Alternative wird den angehenden Beratern im Privat- und Geschäftskundenbereich drastisch ausgemalt: „Wer den Smalltalk ablehnt, gilt als arrogant.“

Da nun allen klar ist, dass sie reden wollen, stellt sich nur noch die Frage: über was?

Flipcharts und Filzstifte gehören zur Seminarwelt wie die Cocktails zum Smalltalk. Die Teilnehmer notieren auf eine Liste von Top-Themen „Wetter“, „Kinder/ Familie“, „Urlaub“, „Hobbys“ und „aktuelle Themen ohne Politik“. Zu den Flops zählen „Krankheiten“, „Religion/ Politik“, „Ehekrisen“, sowie „Meinungsäußerungen über den vorherigen Berater“. Das Brainstorming der Smalltalk-Novizen  führt zu Ergebnissen, die sich im Wesentlichen mit den Tipps der Smalltalk-Lehrerin Annette Kessler decken. Bei den Tops empfiehlt sie darüber hinaus noch „Bücher, Filme, Theater, Oper“, auch das Internet hält sie für einen guten Ausgangspunkt, um ins Gespräch zu kommen.

Entscheidend ist dann aber das Wie. Bei den nun anstehenden Improvisationsspielen wird rasch klar, weshalb exponiertere Wirtschaftsgrößen ihren Smalltalklehrgang bei Frau Kessler als Privatveranstaltung buchen. Denn es kann schon etwas peinlich werden, wenn man sich vor Zuschauern rein zwanglos unterhalten soll. Da steht der eine und hält während des Talkens seinen rechten Arm fest, als ob der gebrochen sei, während sein Partner nicht aufhören will, den nicht vorhandenen Kinnbart zu zwirbeln. Frau Kessler spricht nicht ohne Grund von einem „Leidensdruck“ aus Smalltalk-Unvermögen, der auch die Top-Manager zu ihr führt. Denn es geht ja nicht nur um die Kunst, aus der zufälligen Begegnung mit dem Chef im Fahrstuhl eine Minute angenehmer Plauderei zu schöpfen. Die Königsdisziplin des Smalltalk ist nämlich das „dreistündige Business-Diner mit dem Kunden“, wie Frau Kessler es mit maliziösem Lächeln immer wieder einmal erwähnt, wenn ihre Schüler den Sinn der Veranstaltung aus den Augen verloren haben.

Da hilft es dann nichts, wenn man die Top-Liste von oben nach unten abarbeitet und tunlichst die Flops ignoriert. Die Top-Liste, das zeigt sich in Kronberg, reicht selbst bei gesprächigen Partnern für 6 Minuten (gefühlte 30). Soweit kommt, mit mäßig unterhaltsamem Erfolg selbst ein Smalltalk-Verächter. Für die restlichen drei Stunden ist er auf die methodischen Hilfen von Annette Kessler angewiesen. Denn es soll ja keine Sekunde lang verkrampft werden – oder gar zu tiefschürfend – sondern natürlich, meint: locker, sein.

„Assoziieren“ heißt eine dieser Methoden. Was bedeutet, dass der Smalltalker zwar einen Klassiker bringt wie „Schönes Wetter heute“, dann aber, nach der Zustimmung seines Gegenübers, sich angesichts des erwähnt schönen Wetters an seinen letzten Urlaub in den Bergen erinnert fühlt: „da war das Licht ganz ähnlich“. Urlaub befindet sich ebenfalls auf der Top-Liste, ist vor allem ein ähnlicher Gemeinplatz wie das Wetter und lädt zum Erfahrungsaustausch ein. Ähnlich erfolgversprechend ist „Anreise“. Trifft man den Chef im Fahrstuhl und der spricht einen auf das Wetter an, erscheint die Option mit dem Urlaub als etwas zu freizeitorientiert. Besser ist: „Ich musste wegen der Baustelle weit weg parken und bin in den Regen gekommen“. Der Door-Opener „Wetter“ wurde eingebunden, der Assoziationsraum „Parkprobleme“ ist weit geöffnet und lässt einen Gedankenaustausch aus Themenkreisen von „Öffentlicher Nahverkehr“ bis „Baugewerbe an sich“ zu. Stellt man dabei fest, dass der Chef über das Baugewerbe andere Ansichten hegt als man selbst, greift die Kessler'sche Gabelstrategie von „Fokussieren oder Generalisieren“. Kurzgefasst bedeutet Fokussieren „Mein Nachbar ist übrigens auch Bauarbeiter, ein sehr interessanter Mensch“, wohingegen Generalisieren auf eine Feststellung à la „Ist ja auch gut, dass es mit der deutschen Wirtschaft wieder aufwärts geht“ hinausläuft.

Smalltalk mag keine intellektuelle Kapitulation bedeuten, trotzdem trifft man in Deutschland häufiger auf ungeübte Plauderer als anderswo. Im Interview vermutet Annette Kessler, dass die Deutschen sich oft zu ernst nehmen. Eine gewisse Distanz zur eigenen Person, etwas Selbstironie im Idealfall, begünstigen aber die Fähigkeit, sich zu unterhalten: „Das Geheimnis guter Beziehungen ist emotionale Intelligenz. Dazu müssen Sie vor allem flexibel sein. Und Sie brauchen Persönlichkeit. Die berühmte Wirtschaftsuniversität von St. Gallen, wo auch Herr Ackermann herkommt, macht inzwischen aus Fachleuten gebildete Fachleute. Die Persönlichkeit zählt!“

Auf dem Weg dorthin, eine Persönlichkeit zu werden, die flexibel ist und assoziierend denkt, kann sich der Smalltalk-Novize mit einer von Frau Dr. Kessler erfundenen Methode behelfen, dem sogenannten „Brain Walking“. Wieder kommen die Filzstifte zum Einsatz. Unter jeweils einen Begriff aus der mittlerweile klassischen Top-Liste werden im Vorbeigehen damit assoziierte Schlagworte gereiht, bis auf jedem der sechs Flipcharts eine merkwürdige Liste erscheint, in der sich im Nachhinein keine Stringenz mehr erkennen lässt. Das sind, etwas vereinfacht ausgedrückt, Schaubilder des verstreuten Hirninhaltes aller Seminarbesucher, die jetzt entstanden sind. Das verheißungsvoll klingende Brain Walking funktioniert dann so, dass zwei Gesprächspartner einen Smalltalk führen, dessen Themenabfolge von einer dieser Listen vorgegeben wird.

„Keine peinlichen Gesprächspausen mehr!“ hat Annette Kessler versprochen. Und tatsächlich: Egal, wie absurd das Gespräch nach der Brain Walking-Methode auch verläuft. Es schnurrt durch bis auch der letzte Begriff von der Liste gegrast wurde. Und gerade die Absurdität des Gesprochenen ist es, was die Novizen zur tieferen Einsicht über das Wesen des Smalltalks führt: Es geht nicht so sehr darum, was geredet wird. Sondern wie – und in welcher Atmosphäre. Einstweilen aber changiert der Eindruck noch zwischen Sprachlernplatte und Beckett. Was junge Männer heute übrigens erstaunlich gut können, ist so etwas: Einen bizarren Schlagabtausch durchstehen. Hier offenbaren sich die Früchte des Comedy-Booms: Von Impro-Clowns lernen heißt auch im Smalltalk-Seminar punkten zu können – oder während der drei Stunden Business Dinner; den dreißig Sekunden im Executive Lift.

Natürlich sind vier Stunden Seminarzeit zu rasch vorüber, um beurteilen zu können, ob die Teilnehmer nun tatsächlich besser smalltalken können als vorher. Was ihnen aber klar gemacht wurde, das ist die Funktion der vermeintlich oberflächlichen und überflüssigen Plauderei als ein Vehikel zu wertvollen Abschlüssen.

Insofern hört es sich für die aufstrebenden Jungbanker wahrlich verheißungsvoll an, was Frau Dr. Kessler zum Ende hin ihnen allen verspricht: „Sie werden nie wieder sprachlos sein.“ 

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Culture Talk - Dr. Annette Kessler

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